Einige Märchen-Interpretationen von Verena Kast sind in einem neuen Band im Patmos-Verlag zusammengefasst worden:
Verena Kast: Das Mädchen im Sternenkleid und andere Befreiungsgeschichten im Märchen. Patmos-Verlag, Ostfildern 2012
Es handelt sich um Märchen, die Befreiungswege vorzeichnen: Ablösung, Trennung, Wege aus unguten Bindungen, die eigene Identität finden, ein gelingendes Leben ansteuern. In der Analyse des Märchens: Das Mädchen ohne Hände schreibt Kast, dass es manchmal in Befreiungsgeschichten darum geht, den richtigen, den guten Moment abzuwarten im Vertrauen darauf, dass er auch kommt: „Das Gefühl für den richtigen Moment setzt voraus, dass man die Situation sehr genau wahrnimmt und sich selber in der Auseinandersetzung mit dieser Situation spürt, dass man sehr deutlich die Interaktion zwischen dem, was man zu brauchen meint, und dem, was angeboten ist, sieht.“ Vertrauen, meint Kast, kann die Not wenden.
Bei Rainer Maria Rilke hört sich das so an:
Man muß den Dingen
die eigene, stille,
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt,
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann;
alles ist austragen – und
dann gebären ….
Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen
des Frühlings steht,
ohne Angst,
daß dahinter kein Sommer
kommen könnte.
Er kommt doch !
Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind, als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos still und weit …
Man muß Geduld haben
gegen das Ungelöste im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben,
wie verschlossene Stuben,
und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache
geschrieben sind.
Es handelt sich darum, alles zu leben.
Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antwort hinein.