Archiv für den Monat: Juni 2014

Ethisch und saftig, na also!

Mittsommer 14 122Die mit Erdbeerquark beratene Kollegin meldete sich, sehr zur Freude der Ressourcenberaterin, mit einer mail, die ich auszugsweise hier veröffentlichen darf. Die Beratung enthielt auch eine oder zwei geheime Zutaten, von denen hier nicht die Rede ist, und die, wundervoll, ebenfalls gut anschlugen.
Here goes:
Sehr geehrte Frau Dr. Fuchs,
es war interessant, zu sehen, welche Erwartungen sich kurzfristig erfüllt haben. Ich ziehe eine sehr positive Bilanz aus den ersten 17 Tagen.Das Meditieren liebe ich! Es ist eine viel bessere und effektivere Möglichkeit, die Lebensgeister schnell wieder zu mobilisieren, als meine bisherigen sehr langen und uneffektiven „Mittagstode“ , die ich vorher gehalten habe…
Sehr schön ist, dass ich kaum noch Fleisch esse, dafür viel Obst und Gemüse, wenig Zucker und Weißmehl. Nach Fleischverzehr (außer wenn es möglichst ethisch und saftig ist) fühle ich mich sehr unwohl.
Das Burn-out-Buch habe ich wegen Klassenarbeiten, Hausarbeiten und Zeugnissen noch nicht geschafft, freue mich aber darauf, es in den Ferien am Strand zu lesen. :-)
Es ist nicht nur so, dass ich glücklicherweise wieder „funktioniere“, was blöd klingt, aber unumgänglich ist, sondern, dass ich trotz Stress wieder intrinsisch motiviert bin, ausgeglichener. Vorher dachte ich: „Ichmussichmussichmuss!!!“, jetzt denke ich ganz bewußt (hier folgt die Geheimzutat.)
Ich habe Sie schon weiterempfohlen und hoffe, dass Sie noch lange so erfolgreich weiterarbeiten. Mir hat es sehr weitergeholfen, vielen lieben Dank dafür!

Ereschkigal, ein Mythos für die Hospizarbeit

Vor kurzem hatte ich ein Gespräch mit MitarbeiterInnen verschiedener Hospiz-Einrichtungen und -Initiativen. Es ging darum, wie in der Qualifikation und Weiterbildung für die Hospiz-Arbeit mit Märchen und Mythen gearbeitet werden kann.

Ziel war es,  die eigenen Handlungsmöglichkeiten zu erweitern:
1. In der professionellen Selbstfürsorge
2. In der konkreten Arbeit mit KlientInnen.
Wir besprachen konkrete Situationen in der Arbeit und fanden ein schönes Beispiel  im Mythos von Inanna, der Himmelskönigin im antiken Sumer.

Zunächst die Situation, wie sie von einem Trauerbegleiter geschildert wurde:

Die Klientin kommt über Monate aus dem Klagen nicht heraus. Sie steckt fest. Ihr Trauerbegleiter fühlt sich langsam überfordert, es fällt ihm immer schwerer, die Klientin in dieser Phase anzunehmen. Er möchte, dass die Klientin weiter geht, sich weiter entwickelt. Er weiß nicht mehr, wie er noch dazu beitragen kann, fühlt sich „gefangen in der Klagemauer“.  
Dazu fiel mir der sumerische Mythos von Inanna ein:  Ereschkigal, die dunkle Schwester der Inanna, findet aus dem Klagen nicht heraus und hat Inanna, die sie in der Unterwelt besuchte, als Geisel genommen.  Da sendet der Großvater zwei Wesen, deren Aufgabe es ist, Inanna zu befreien. Sie sollen mit Ereschkigal klagen. Sie wiederholen immer nur spiegelbildlich ihre Klagen: „Oh, mein Herz!“ – „Oh, dein Herz!“, – „Oh, meine Leber!“ – „Oh, deine Leber!“ …    Nach einer Weile erkennt Ereschkigal, dass da Begleiter sind, und kann das Klagen aufgeben und in Kontakt mit den Helfern gehen.
Im Gespräch haben wir erarbeitet, was das Erfolgsgeheimnis dieser Helfer war:
Zeit  und Spiegelung waren die Mittel, welche von den Helfern eingesetzt wurden. Sie waren einfach nur da und wiederholten die Klagen, übten keinerlei Druck aus, wollten Ereschkigal zu nichts bringen.  Dadurch konnte sie selbst aus dem Klagen heraus und in den Kontakt hineinfinden.

Die Aufgabe der Helfer,  ihre professionellen Mittel  und  ihre eigene Selbstfürsorge in der Trauerbegleitung wurden deutlich: Geduldiges, empathisches Spiegeln hat hier die Wende gebracht. Das hat genügt.
Die Mythenarbeit versorgt die Trauerbegleitenden hier mit einem klaren Profil ihrer  Aufgabe, die sie als leistbar einschätzen können und bringt sie gleichzeitig in Kontakt mit dem Mythos als Ressource ihrer Arbeit.
Auch die Begleitenden sind also, in einem empathischen Sinn, begleitet in dem, was sie tun. Der bekannte und durchgearbeitete Mythos stützt und begleitet sie in ihrer Arbeit.

Ich denke, das ist es genau, wie die alten Geschichten, Märchen und Mythen heute funktionieren: als Spiegel, in dem wir erkennen können, in welcher Geschichte wir grade sind.
Im antiken Sumer wurde Ereschkigal, diese dunkle, klagende Schwester, gepriesen: Heilige Ereschkigal, ich singe Dein Lob, heißt es da.  Darüber haben wir uns intensiv unterhalten: Wofür wird diese Schwester gelobt?
Vielleicht wird sie ja dafür gelobt, dass sie da ist, um uns zu zeigen, wie wir auch in der Dunkelheit der Trauer und des Verlusts weiter gehen können. 

…von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen: Lob der Indolenz.

23.7.13 005„Was hat der, was ich nicht habe?“, fragte, ein wenig neidisch vielleicht, eine Teilnehmerin, als wir Grimms Märchen von einem, der auszog, das fürchten zu lernen, besprachen.
Gute Frage.
Wir machten ein Helden-Casting.
Welche Eigenschaften muss der haben, mit dem wir diese Heldenrolle besetzen? „Asperger“, sagte eine, und sie erntete Unverständnis und Gelächter.  Das Asperger-Syndrom, derzeit prominent verkörpert in der Rolle des Sheldon Cooper in  der Sitcom The Big Bang Theory, zeichnet sich durch ein Unverständnis sozialer Komplexitäten aus.
„Der weiß gar nicht, dass man vor bestimmten Dingen konventionellerweise Angst haben muss, und deshalb funktioniert das auch immer nicht. Der ist nicht verletzbar, nicht beleidigbar, der fürchtet sich nicht, weil ihm dafür schlicht die Phantasie fehlt.“
Der deutet einfach anders. Deshalb fürchtet er sich nicht vor dem Gespenst, sondern spricht es auf Augenhöhe an, und als es nicht antwortet, verwarnt er es drei mal, und dann stößt er es die Treppe hinunter. Die Gehenkten, die im kalten Nachtwind baumeln, will er wärmen, seinen toten Vetter auch, all den starken Männern im Spukschloss zeigt er, dass er schlauer und gewiefter ist und sich nicht die Butter vom Brot nehmen, sich auch nicht ins Bockshorn jagen lässt.
„Ja, aber der lernt nix dabei.“
-Stimmt auch, er lernt nicht, sich zu fürchten. Alles, was er erlebt, regelt er auf einer ganz anderen Ebene, einer handfesten, pragmatischen, alltagstauglichen, phantasielosen HierundJetzt-Ebene.
„Der ist einfach keine Drama-Queen!“. Das ist es. Der dramatisiert nichts, erzählt sich selber keine Zukunftsgeschichten, hat und macht keinen Plan B, kein worst-case-Szenario, kein Was, wenn… .
„Wenn ich denke, vor meiner zweiten OP, was hab ich mir alles ausgemalt, was hab ich alles geregelt, und dann: War es so einfach, so erfolgreich, der beste mögliche Fall ist eingetreten, jetzt ist es mir fast peinlich, was ich da alles veranstaltet habe!“
Wir erzählen Geschichten. Uns und anderen. Und oft sind es nicht die guten Zukunftsgeschichten, das best-case-Szenario, sondern die schlechten, die schlimmen Ausgänge phantasieren wir. Wir erzählen uns Geschichten, als könnten wir damit die Zukunft bannen, der Gefahr begegnen, als würden diese Geschichten uns rüsten oder sogar beschützen: wenn ich es mir schon mal vorstelle und ausmale, wird es vielleicht nicht so schlimm… .
Wir entwerfen uns in eine angsterregende Zukunft. Das strengt uns an, das macht uns empfindlicher, das hilft uns nicht viel weiter. Und beruhigend ist es auch nicht.
Was hat der, was ich nicht habe?
„Indolenz!“
Indolenz? – Schmerzunempfindlichkeit, eine gewisse Trägheit, eine Un-Beeindruckbarkeit, norddeutsch würde man sagen: der ist dröge.
Wie so oft im Märchen, wenn eine Männergesellschaft nicht weiterkommt, richten es, mehr so nebenbei, die Frauen. Er kriegt, da hat er schon das Gold und die Königstochter,  aber hat eben das Gruseln noch nicht gelernt, Gründlinge ins Bett.  Da gruselts ihn.
Oder vielleicht, das ist ja ein Märchen cum grano salis, vielleicht kitzeln ihn die kleinen Bartfischchen auch nur.
Wir können nicht gleichzeitig lachen und uns gruseln. 

Erdbeerquark und Ressourcenmanagement

Die Kollegin entstieg der Fähre in Wyk, mit Ringen unter den müden Augen. Auf dem Weg zur Weiterqualifizierung war ihr die Puste ausgegangen. Sie hatte beim IQSH ein Coaching beantragt, Ressourcenmanagement bei mir auf Föhr.  Das sollten wir in drei Stunden adressieren.
Bei mir in Oldsum angekommen, durfte sie erst mal Erdbeeren waschen und putzen.  Mit Magerquark, Sahne und selbstgemachtem Vanille-Rohrzucker gemixert gibt das einen sehr schönen Quark, der duftet. Die Toasterwaffeln, voller Weizenmehl und Industriezucker, wären gar nicht nötig gewesen.
Mit der Ernährungs-Bestandsaufnahme fingen wir an: keine Zeit zum Kochen und vernünftig essen, nur noch die ewigen Lehrerzimmer-Kekse und Fast-Food der schlimmsten Art. „Es geht nicht anders…“ – Das ist immer ein guter Anzeiger dafür, dass etwas nicht im Fluss ist: ein unguter Zustand wird zwar erkannt, kann aber absolut nicht verändert werden, da geht gar nix. No way. Unmöglich.
Wir haben dann den typischen Tagesablauf angeschaut, in dem so gar nichts geht, weil absolut keine Zeit ist, und irgendwann kam die Kollegin drauf: „Ich bin ja die Plastikbeauftragte unserer Schule, ich fahre fast jeden Tag zum Plastikcontainer…“ und jetzt kommt’s: „… beim Einkaufszentrum!“ Einkaufszentrum.
Das ist da, wo frau Obst und Gemüse kaufen kann. Und Salat. Etwas Käse vielleicht. Und Kichererbsen,  Gerstengrütze, Haferflocken, Risotto-Reis, Mais, Linsen, Dinkelnudeln, Bulgur.
Die Schule hat eine Schulküche. Aha.

Bild: Susanne Fuchs. Gibt es auf ihren Tricky Fox-t-shirts

1.Drittel: Essen
2.Drittel: Ruhen
3.Drittel: Bewegen

Als wir so weit waren, war es einfach: wir bauten in die Mitte ihres Tages, den sie fast vollständig an der Schule verbringt, weil sie dort auch ihre Vorbereitung macht, ein Kraftrad ein.
„Also ein Tortendiagramm?“, fragte die fortgebildete Kollegin. Na klar, so kann sie es auch nennen!
Das Mittags-Kraftrad.
Eine Stunde am Mittag, drei Teile:

Essen wird sie fortan weniger Zucker und Weißmehl. Statt Keksen gibt’s in Zukunft im Lehrerzimmer alles, was saubere Hände hinterlässt: kleine Tomätchen, Weintrauben, Erdbeeren, Bananen, Möhren, Rosinen, Nüsse.  So kommt sie schon mal fitter durch den Vormittag. In der Mittagspause kocht sie sich was aus Gemüse mit Reis oder Polenta oder Buchweizengrütze oder Kichererbsen oder Linsen oder Bulgur oder Kartoffelbrei. In der Pfanne oder als Eintopf oder als Suppe oder als Gemüse mit Beilage. Zwischendrin gibt’s auch mal Salat oder Nudeln mit Soße. Das geht schnell und schmeckt und ist sehr variabel, kann  auch am Abend zu Hause vorgekocht und mitgebracht werden. Dann wird gegessen.
In der Abteilung Kreative Ressourcen entdeckten wir, dass sie sehr gern Ruhe hat, dass sie mehr von innen nach außen arbeiten möchte, und sich weniger mit Fernsehmüll zuschütten möchte. Aber so ganz allein will sie auch nicht sein. Also hörten wir die CD: Die heilende Kraft der Achtsamkeit, von Jon Kabat-Zinn und Ulrike Kesper-Grossmann. Da gibt’s es eine angeleitete Berg-Meditation, die ihr sehr sympathisch ist. Das Bild des unerschütterlichen Berges will sie gerne  für sich annehmen, da sieht sie sehr deutlich, wie ihr das im Schul- und Qualifizierungsalltag helfen kann. Das war das zweite Drittel ihres mittäglichen Kraftrads: die Ruhe. Gerne mit hochgelegten Beinen, damit auch der Körper was davon hat und runterschalten kann.
Gelaufen ist sie immer schon gern, das hat sie, wie vieles andere, in letzter Zeit aufgegeben. Aber ein paar Runden ums Schulgebäude sind drin. Die letzten 20 Minuten des Kraftrads: Bewegung.
Dann startet sie in ihren Nachmittag, der kürzer sein wird als vorher. Weil sie mehr Kraft hat und nicht gegen die Erschöpfung an-arbeiten muss, wird sie eine Stunde weniger Zeit brauchen, um ihr Pensum zu erfüllen.
Erstes Paradox des Zeitmanagements: wenn du viel zu tun hast, nimm dir wenig Zeit dafür.
Weil sie jetzt eine Stunde früher zu Hause ist, kann sie am Abend in Ruhe die Tasche für den nächsten Tag packen und die Kleider rauslegen.  Dann ist ihr Arbeitstag wirklich zu Ende, und sie hat frei.
Am Morgen
wird sie in Zukunft Morgenseiten schreiben, das kennt sie aus einem Kurs über kreatives Schreiben, den sie mal gemacht hat. Als wir es eben ausprobierten, fünf Minuten lang, alles, was in den Kopf kommt, merkte sie schon, wie sie das beruhigt: „Das entspannt mich jetzt schon!“ Sie wird später aufstehen, weil sie die Sachen schon am Abend rausgelegt hat. Also hat sie morgens ein Viertelstündchen, um zu schreiben.
Außerdem haben wir besprochen, dass sie nicht perfekt sein muss bei der Umsetzung des Neuen: 80 Prozent reicht. Und das schafft sie, so schätzt sie das ein.
Sie nimmt Hausaufgaben mit:
♥ Die Kolleginnen über ihr neues Ressourcenmanagement informieren.
♥ CD: Die heilende Kraft der Achtsamkeit, von Jon Kabat-Zinn und Ulrike Kesper-Grossmann  und Buch: Was tun, wenn es brennt? Neue Strategien gegen Burnout. Ursula Wawrzinek, Anette Schauer. Klett-Cotta Fachratgeber, Stuttgart 2013 kaufen und nutzen.
♥ In 17 Tagen an mich eine Mail schreiben und mich über ihre neue Praxis informieren.
Vieles wusste und konnte sie schon, sie durfte es aktualisieren; an manchen  Stellen hatte sie für sich neue Erkenntnisse, die sie erfreuten. Sie hat sich, kulinarisch unterstützt, mit mir alles nochmal genau angeschaut und für sich Zwischenräume, Kapazitäten, Kraftquellen, Ressourcen eben, entdeckt, die sie nicht (mehr) nutzte und von denen sie sah, wie sie sie jetzt konkret nutzen konnte.
Wir haben angeschaut: Tagesplan, Bedürfnisse, Neigungen, Vor-Erfahrungen, haben aktuelle gute Erfahrungen (mit dem Erdbeerquark, dem fließenden Schreiben für die Morgenseiten, dem Beine-Hochlegen, der angeleiteten Meditation) gemacht und neue Verknüpfungen hergestellt.
Auch ihre Vorbilder haben wir angeschaut, das, was sie wirklich bewegt, ihre Arbeit zu machen, das, was für sie den Sinn macht.
Auf der Rückfahrt zum Hafen kam es dann:
„Wissen Sie, ich bin so gerne Lehrerin, ich hab so große Lust darauf, den Kindern zu dienen und sie zu begleiten!“
Dienen?
– Wer leitet, dient. Das hatten wir nebenbei rausgefunden, und so kann sie sich auch gut damit anfreunden, ihren Thron zu besteigen. Sie wird dem Wohl der Kinder dienen, so sieht sie das.
Mit Freude.

(Dank an Susanne Fuchs für das Blumenbild, das ich zum Tortendiagramm zweckentfremdet habe. Das Bild ziert eines ihrer zauberhaften T-Shirts: www.trickyFox.de )