Archiv für den Monat: Dezember 2014

Verletzlich und robust zugleich

DSC00339Vom Aufenthalt an der Nordsee wird ärztlicherseits immer gesagt, er sei „roborierend“, also robust-machend. In den derzeitigen Gesprächen und Texten über Resilienz und Verletzlichkeit kommt ein relativ altertümliches Wort eher selten vor: robust.
Robust ? –  
Wir schauen mal bei wikipedia rein.

Der Begriff Robustheit (lat. robustus, von robur: Hart-, Eichenholz) bezeichnet die Fähigkeit eines Systems, Veränderungen ohne Anpassung seiner anfänglich stabilen Struktur standzuhalten.

Veränderungen standhalten, ohne Anpassung der Struktur. Genau: bleibt gleich, auch unter Veränderungsdruck. Robust eben. Holz, aus hartem Holz geschnitzt.  Biegt sich kaum, kann aber brechen, wenn der Veränderungsdruck groß genug ist.
Dagegen verletzlich: verändert sich unter Anpassungsdruck, bleibt nicht gleich, ist biegsam, weich, durch die Verhältnisse veränderbar, das kann gehen bis hin zur Zerstörung.
Im Unterschied zu Robustheit ist Verletzlichkeit schambesetzt. Wir wollen nicht als Verletzte, als Verletzliche gesehen werden und uns auch selbst eher nicht so sehen. Unsere Verletzlichkeit fordert uns heraus.
Die Frage ist: wie können die Veränderungen, die unausweichlich im Leben passieren, navigiert werden, zwischen Robustheit und Verletzlichkeit?

Und zwar möglichst, ohne dass wir uns gnadenlos auf die Seite der Robustheit schlagen und alles Verletzliche ignorieren oder bekämpfen, und ohne dass wir in die Sümpfe der Scham geraten, des Verbergens und Versteckens unserer Verletzlichkeit, aus denen heraus es sich so schlecht gut und sinnvoll handeln lässt?

Die Antwort lautet natürlich:
Resilienz, also die Fähigkeit, bei Stress und Veränderungsdruck wieder zurück zu finden in eine Form, die zwar auf Veränderungen reagieren kann, aber auch stabil ist.
Wie geht das?
In einem Vortrag, der auf DVD zu besichtigen ist, hat Verena Kast ein wundervolles Bild gefunden für Resilienz: es ist die Fähigkeit, verletzlich und robust zugleich zu sein, also sich selber zu halten (robust) in der Anforderung durch die Veränderung (Verletzlichkeit).  Kast  verwendet die Pietá von Michelangelo als Bild: da ist ein Sterbender zu sehen, äußerste menschliche Form der Verletzlichkeit, der gehalten wird von einer alterslosen, übermenschlich großen Madonna.  Es gibt  auch die Madonna mit dem Kind, einem Menschen am Anfang des Lebens, voller Versprechungen und Neugier, ebenfalls sehr verletzlich und der schützenden Haltung bedürftig.
Beides ist gleichzeitig anwesend: die Schutzbedürftigkeit und der Schutz,  die Verletzlichkeit und das Gehalten-Werden.
Also nicht:
Robust statt verletzlich,
sondern:
beides, in veränderlichen Anteilen, immer wieder hin- und her schwingen auf der ganzen menschlichen Bandbreite im eigenen Leben.

DSC00343Das ist Resilienz.
Resilienz ist nicht etwas, das wir haben, sondern etwas, das wir tun.
Resilienz ist ein Tanz!
Kast, Verena: Der Mensch: verletzlich und robust. Vortrag.  Internationale Gesellschaft für Tiefenpsychologie e.V.,  Lindau 2014.  DVD, Auditorium Netzwerk.
Zu bestellen unter: www.auditorium-netzwerk.de  Bestell-Nr. IGT14-V2D

… feiern und tanzen!

DSC00366… gestern sagte eine Rehabilitandin, als es um die Jahresernte ging, zu einer anderen, jüngeren, die eben etwas verzweifelt schien: „Weißt du, es hat einfach keinen Sinn, weiter dumm zu sein und so zu leben, wie andere es dir vorsagen.“ Und  weiter: „Ich kann einfach jeden Tag glücklich sein, egal wie meine Diagnose ist.“

 

– Hier ist, als Poem to go, für den Weg in den Jahreswechsel, ein Gedicht von Daniel Ladinsky:

Stille

Ein Tag der Stille
kann  wie eine Pilgerreise sein.
Ein Tag der Stille
kann Dir helfen,
der Seele zu lauschen,
Wie sie ihre wunderbare Laute und Trommel spielt.
Ist Reden nicht meistens
die verrückte Verteidigung einer einstürzenden Festung?
Ich dachte, wie wären hierher gekommen,
Um uns in Stille hinzugeben,
Um uns dem Licht und dem Glück zu ergeben,
Um innerlich den Sieg der Liebe
zu feiern und zu tanzen!

Daniel Ladinsky: Ich hörte Gott lachen. Gedichte inspiriert von Hafiz. Arbor Verlag, Freiburg im Breisgau 2011

DSC00316Allen TeilnehmerInnen der KraftquellenArbeit im Reha-Zentrum Utersum, den Organisatorinnen und Teilnehmerinnen der Kraftquellenseminare in Hamburg und Thierstein (ja!), allen, die mir Rückmeldungen gegeben haben und mir deutlich gemacht haben, wie sie für sich Gutes in dieser Arbeit erfahren haben, und allen, die mich inspiriert und unterstützt haben bei der KraftquellenArbeit: herzlichen Dank, alle guten Wünsche für einen schönen Jahresausklang und einen guten Rutsch in  ein zauberhaftes, erfüllendes und heiteres Neues Jahr!

Licht in dunklen Zeiten

27.7.14 025Heidi Christa Heim berichtet, dass einige Völker Sibierens die Märchen, die sie in den  langen dunklen Wintern erzählen, Ohrenlicht nennen. Wenn in Zeiten der Herausforderung das Licht für die Augen fehlt und wir nicht mehr besonders weit in die Zukunft sehen können, dann helfen Märchen. Märchen, mündlich erzählte Geschichten, können Orientierung bieten auf der Heilreise.
Ich empfahl:
Heidi Christa Heim: Märchenlicht für Frauen in Trennung und Scheidung. Heilung von Herzenswunden. Verlag Via Nova, Petersberg 2004
Und letztlich, so besprachen wir das kürzlich in einer Sitzung der KraftquellenArbeit, ist jede Herausforderung, jede Lebens-Krise mit Trennungen verbunden: wir müssen uns von Zukunftsvorstellungen trennen oder von Selbstbildern, von Wünschen und Hoffnungen, die nicht mehr in Erfüllung gehen können oder von geliebten Lebens-BegleiterInnen, Menschen oder Tieren, die nicht mehr bei uns sein können.  
Die Märchen, die Heidi Christa Heim in ihrem Buch versammelt und kommentiert, zeichnen den Weg der Heldin auf ihrer Heilreise  nach: die Vorgeschichte der Trennung; Trennung und Abschied; die Suchwanderung; Häutung und Heilung; Öffnung für Andere; Die heilige Hochzeit, eine neue Ganzheit.
Schöne und seltene Märchen, berührend und klug kommentiert.
Das Buch ist eine gute Begleiterin auf der eigenen Heilreise, aus welchem Grund auch immer sie angetreten wurde.