Archiv für den Monat: September 2016

Selber denken, Gehen, Loslassen: Leseempfehlungen aus dem BücherGespräch

303Das nächste BücherGespräch im Reha-Zentrum Utersum ist am 25.9. um 19 Uhr in der PatientInnenbibliothek .

Ich werde wieder Bücher mitbringen, die ich empfehlen kann, darunter das leere Buch von Leuchtturm mit den Punkten, das es in vielen bunten Farben gibt und das deswegen so gut ist, weil man es selbst schreibt. Es macht also das, was Literatur und Ratgeber für herausgeforderte Lebenslagen im besten Fall tun: Freiraum im Kopf.  

Ähnlich ist es mit dem wundervollen Buch von Robert Macfarlane: The Old Ways. Macfarlanes Leidenschaft ist das Gehen und die Zusammenhänge zwischen Gehen und Denken und Fühlen. Wenn wir wissen, dass Denkbewegungen und Erzählungen immer das Motiv des Weges, der Suchwanderung, des Erfahrungsweges haben, dann wird es spannend und vergnüglich, dem Autor auf seinen weiten Wanderwegen in englische Landschaft und englische Literatur zu  folgen: Denken in Bewegung.

Außerdem habe ich ein etwas älteres Buch aus dem Gräfe und Unzer Verlag wieder ausgegraben, das mit der Zeit eher besser geworden ist: Karin Lindinger: Lass los und… gewinne! Wie Sie falsche Vorstellungen aufgeben und reich dafür belohnt werden. Anders als der Titel suggeriert, ist das kein Lotto-Tippsystem, sondern ein ganz praktischer, buddhistisch inspirierter Ratgeber zu Zusammenhängen zwischen: Glück und Wünschen, Erfolg und Anspruch, Zeit und Tempo, Kreativität und Unterhaltung, Gesundheit und Komfort, Freiheit und Konsum, Schein und Sein, Sinn und Ego. Der Zusammenhang ist immer der gleiche: mehr vom ersteren gibt’s  durch Loslassen des Letzteren.  Wir sind so sehr darauf getrimmt, Probleme durch Handeln zu lösen, dass es sehr entspannend sein kann, sich klar zu machen, dass Loslassen, also weniger bis Nichts tun, ebenfalls eine ganz lösungsträchtige Handlung sein kann: Lösen durch Loslassen.

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Nichtstun. Eine echte Aufgabe!

„I didn´t have enough time to do all the nothing I want!“ 
– Ich hatte noch gar nicht genug Zeit zum Nichtstun,
ruft Calvin,  Wattersons kindlicher Cartoon-Held, am Ende der Sommerferien.

Wenn ich den PatientInnen vom Nichtstun erzähle, müssen wir das immer erstmal definieren: Nein, Zeitschriften-Lesen ist nicht Nichtstun. Gartenarbeit auch nicht.
„Ich kann das garnicht!“, stellte eine erstaunt fest, als klargeworden war, dass Nichtstun bedeutet, nichts zu tun. Also gar nichts. Auf dem Sofa sitzen. Aus dem Fenster schauen. So wenig wie möglich Input. Manchen hilft die Vorstellung vom aufgewühlten Teich, in dem viele Teilchen schwimmen, und der einfach dadurch wieder klar wird, dass nichts passiert, keine Aktivität mehr, die den Teich aufwühlen kann.
Vor dem Zugang zum Nichtstun, der Kindern manchmal noch offensteht, haben sich im weiteren Leben einige Wächterfiguren postiert, die raunzen: „Davon wird der Kohl auch nicht fett!“, oder: „Das ist unnütz!“, oder: „Das darfst du nicht, du musst immer etwas tun!“
Wir haben auch gelegentlich Sehnsucht nach Hektik, Komplexität, Lärm, Party. Wenn es zu still wird, kanns ungemütlich werden. „Ich hab keine Angst vor mir“, sagte kürzlich eine Patientin, als wir darüber sprachen, dass wir, wenn im Außen weniger Party ist, die Chance haben, uns selbst zu begegnen.
Deshalb macht es Sinn, das Nichtstun zu üben, und sich das Nichtstun auch zu erlauben. Dazu hilft die Überlegung, dass die Festplatte tatsächlich von Zeit zu Zeit komprimiert und gereinigt werden muss. Wir brauchen Arbeitsspeicher, wir brauchen Raum, in dem Neues entstehen kann. Also geben wir manchmal für einen Moment die Hektik auf, verzichten auf Reden, Tun,  Abarbeiten, Multitasking und Mich-Wichtig-Fühlen.
Am Meer geht das leichter mit dem Nichtstun.
Horizontale Linien, auf den ersten Blick wenig Komplexität. Nichts, auf das man aufpassen muss, keine schnellen Bilder, keine Gefahr. Es ist auch eher leise am Strand, wenn nicht grade ein Dauertelefonierer vorbeigeht, der sich den Tag stressiger macht als er  vielleicht sein müsste.
In unser persönliches Ressourcenbuch schreiben wir uns deshalb manchmal eine Hausaufgabe:
Jeden Tag eine halbe Stunde Nichtstun.
„Aber das wäre dann ja schon wieder eine Aufgabe mehr!“
– Na dann: Machen Sie doch, was Sie wollen!
Am besten gelegentlich:
gar nichts.

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