Kategorie-Archiv: Kraftquelle

Hier sind die Kraftquellen selber, als link zur Gedichtlesung von Mascha Kaleko oder zum poetischen Video beispielsweise, oder als bebilderte Erinnerungen an Kraftquellen, wie z.B. meine GartenFotos zum Thema „Leichtigkeit“.
Zum Berührt werden, Erinnern, wieder Erleben, Kraft tanken!

Was bleibt? – Die Heimat-Liste

IMG_1753Kürzlich las ich über eine Journalistin, die innerhalb kürzester Zeit in ihrem Leben verlor, was ihr am wichtigsten war: ihr neugeborenes Kind und ihre Lebensgefährtin.
Ariel Levy berichtete der Reporterin des ZEIT-Magazins, die sie in New York besuchte, was ihr nach dem Zerfall ihres Lebens geblieben war: ihre jüdische Identität und das Schreiben.
Vor der Frage: Was bleibt?  stehen Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen, in unterschiedlichen Phasen ihres Lebens. Für mich war interessant, dass das Schreiben ein so wichtiger und nachhaltiger Anker sein kann wie die Familienbindungen und die religiösen und kulturellen Bindungen.
IMG_1737Also schlage ich die Heimat-Liste vor, sozusagen prophylaktisch, aber auch in jedem anderen Fall:
Was verankert mich im Leben,
was ist mir Heimat,
was bleibt? 
Listen sind in meinen Schreibwerkstätten immer schnell und spontan geschriebene Texte mit zehn Eintragungen. Wenn zu einem Punkt nichts kommt, dann drei Pünktchen als Platzhalter einfügen und  zur nächsten Listennummer weitergehen. Auf diese Weise können wir  Mut zur Lücke haben, die sich erfahrungsgemäß später noch füllen lässt, inspiriert durch das Gespräch.  
In der Schreibgruppe bitte ich immer darum, höchstens  eine oder zwei Eintragungen der Liste zu veröffentlichen.
Hier ein paar Beispiele aus den Heimat-Listen, als Antworten auf die Frage: Was ist mir Heimat?
IMG_1330* Ein bestimmtes inneres Körper-Gefühl
* In der Meditation bin ich zuhause
* Meine Erinnerungen
* Beim Rudern bin ich ganz bei mir
* Mein Mann und meine Kinder
* Ein ganz bestimmter Moment in meinem Leben, der mich geprägt hat
* Mein Hund
* Meine Träume
* Meine ganz speziellen Momente im Leben, die ich in meiner Schatzkiste sammele
* Mein Glaube gibt mir Heimat bei Gott
* Das Tanzen
* Ich kann beim Singen in mir zuhause sein
Im gesprächsförmigen Nachdenken darüber, was Heimat gibt, was bleibt, kam uns der Gedanke, dass es oft gar nicht die Dinge sind, auch nicht die Häuser und noch nicht einmal, obwohl fast auf jeder Liste zu finden, die Menschen oder die Tiere. Es waren die persönlichen Erfahrungen, die nichtmateriellen Lebens-Wirklichkeiten wie

 

IMG_1694die Gedanken,
die Praxen,
die Körpererfahrungen,
die Erinnerungen,
die Träume,
die Bewegungen,
die religiösen Bindungen,
die Heimat schaffen.
Das zeigen die Heimat-Listen und das Gespräch darüber: Heimat scheint nicht nur etwas zu sein, das wir haben, sondern auch etwas, das wir schaffen, indem wir etwas tun.
Schreiben kann Heimat schaffen. 
Ariel Levy: Gegen alle Regeln. Eine Geschichte von Liebe und Verlust. Knaur Verlag 2017
ZEIT Magazin vom 14.9.2017

Skrupelloses Schreiben: auf www.Inselschreibwerkstatt-blog.de

IMG_0456Ich habe grade auf meinem Inselschreibwerkstatts-Blog zwei Artikel über das Skrupellose Schreiben veröffentlicht, die vielleicht auch für LeserInnen dieses Blogs interessant sind, denn es geht um Kraftquellen: Skrupelloses Schreiben  und Hörschreiben.
www.Inselschreibwerkstatt-blog.de
IMG_0464Die Kraftquelle ist bei beiden Schreibtechniken das Offenhalten des Raums, in dem Neues sich zeigen kann.
Skrupelloses Schreiben und Hörschreiben bringen uns ins HierundJetzt, und das ist da, wo wir uns so antreffen können, wie wir grade sind und uns „ohne den Schatten eines Urteils die zärtlichste Freundschaft erklären“ können.
(
Das Zitat über die Freundschaft stammt von Elsa Morante.)

Schönheit, auch da.

009 (2)Ich habe kürzlich einen schönen Film gesehen, er hieß Collateral Beauty, und das wurde übersetzt mit: Verborgene Schönheit. Es ging aber nicht um verborgene Schönheit, es ging um etwas anderes.
Eine Szene: eine Frau sitzt auf dem Flur des Krankenhauses, in dem ihre sechsjährige Tochter liegt. Das Kind ist unheilbar krank. Neben ihr sitzt eine Gestalt im Hoodie und fragt: „Wen verlieren Sie grade?“ und die Frau antwortet ihr unter Tränen. Dann sagt die Gestalt neben ihr: „Vergessen Sie bei alldem nicht die Schönheit, die auch noch da ist.“ Und geht.

Es geht um die Schönheit, die auch noch da ist, neben allem anderen, das die Hauptrolle spielt und unsere ganze Aufmerksamkeit einnimmt und unser ganzes Gefühlsleben dominiert.
Wie eine Patientin einmal erzählte: „Ich stand zufällig am Fenster, als ich die Nachricht erhielt, und schaute hinaus. Da sah ich einen Farnwedel, der sich grade entfaltete, aus der Spirale herauswuchs. Und ich dachte:
‚Wenn es so viel Schönheit gibt, dann bin ich auch geborgen!‘.
Es geht um die Schönheit, die wir sehen, wenn wir hinsehen, und es geht um die Schönheit, die da ist, auch wenn wir sie nicht beachten.
Die beiden Fotos sind an einem frühen MIttsommermorgen im Garten entstanden, sie zeigen Blatt und Blüte der Akeleien, komplett mit Tautropfen.
Collateral Beauty.  

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Nichtstun. Eine echte Aufgabe!

„I didn´t have enough time to do all the nothing I want!“ 
– Ich hatte noch gar nicht genug Zeit zum Nichtstun,
ruft Calvin,  Wattersons kindlicher Cartoon-Held, am Ende der Sommerferien.

Wenn ich den PatientInnen vom Nichtstun erzähle, müssen wir das immer erstmal definieren: Nein, Zeitschriften-Lesen ist nicht Nichtstun. Gartenarbeit auch nicht.
„Ich kann das garnicht!“, stellte eine erstaunt fest, als klargeworden war, dass Nichtstun bedeutet, nichts zu tun. Also gar nichts. Auf dem Sofa sitzen. Aus dem Fenster schauen. So wenig wie möglich Input. Manchen hilft die Vorstellung vom aufgewühlten Teich, in dem viele Teilchen schwimmen, und der einfach dadurch wieder klar wird, dass nichts passiert, keine Aktivität mehr, die den Teich aufwühlen kann.
Vor dem Zugang zum Nichtstun, der Kindern manchmal noch offensteht, haben sich im weiteren Leben einige Wächterfiguren postiert, die raunzen: „Davon wird der Kohl auch nicht fett!“, oder: „Das ist unnütz!“, oder: „Das darfst du nicht, du musst immer etwas tun!“
Wir haben auch gelegentlich Sehnsucht nach Hektik, Komplexität, Lärm, Party. Wenn es zu still wird, kanns ungemütlich werden. „Ich hab keine Angst vor mir“, sagte kürzlich eine Patientin, als wir darüber sprachen, dass wir, wenn im Außen weniger Party ist, die Chance haben, uns selbst zu begegnen.
Deshalb macht es Sinn, das Nichtstun zu üben, und sich das Nichtstun auch zu erlauben. Dazu hilft die Überlegung, dass die Festplatte tatsächlich von Zeit zu Zeit komprimiert und gereinigt werden muss. Wir brauchen Arbeitsspeicher, wir brauchen Raum, in dem Neues entstehen kann. Also geben wir manchmal für einen Moment die Hektik auf, verzichten auf Reden, Tun,  Abarbeiten, Multitasking und Mich-Wichtig-Fühlen.
Am Meer geht das leichter mit dem Nichtstun.
Horizontale Linien, auf den ersten Blick wenig Komplexität. Nichts, auf das man aufpassen muss, keine schnellen Bilder, keine Gefahr. Es ist auch eher leise am Strand, wenn nicht grade ein Dauertelefonierer vorbeigeht, der sich den Tag stressiger macht als er  vielleicht sein müsste.
In unser persönliches Ressourcenbuch schreiben wir uns deshalb manchmal eine Hausaufgabe:
Jeden Tag eine halbe Stunde Nichtstun.
„Aber das wäre dann ja schon wieder eine Aufgabe mehr!“
– Na dann: Machen Sie doch, was Sie wollen!
Am besten gelegentlich:
gar nichts.

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Tig

Auf netflix gibt es die Dokumentation von Tig Notaro, einer standup-Comedienne, über ihr Leben.
Ich habe noch selten gesehen, wie jemand so souverän aus einer schwierigen Lebenslage Comedy macht. Die Aufnahme der Show aus dem Largo Theatre in Los Angeles,  die sie machte, nachdem sie am Tag zuvor die Diagnose Brustkrebs erhalten hatte, ist legendär.
Amazon hat eine Pilotsendung einer neuen Comedy-Serie von Tig Notaro produziert, die ebenfalls sehr sehenswert ist: „One Mississippi“. Das ist Humor an der Abbruchkante, für alle, die die Härten des Lebens kennen und sich nicht scheuen, auch darüber zu lachen.
Eine Kraftquelle!
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