Die Kollegin entstieg der Fähre in Wyk, mit Ringen unter den müden Augen. Auf dem Weg zur Weiterqualifizierung war ihr die Puste ausgegangen. Sie hatte beim IQSH ein Coaching beantragt, Ressourcenmanagement bei mir auf Föhr. Das sollten wir in drei Stunden adressieren.
Bei mir in Oldsum angekommen, durfte sie erst mal Erdbeeren waschen und putzen. Mit Magerquark, Sahne und selbstgemachtem Vanille-Rohrzucker gemixert gibt das einen sehr schönen Quark, der duftet. Die Toasterwaffeln, voller Weizenmehl und Industriezucker, wären gar nicht nötig gewesen.
Mit der Ernährungs-Bestandsaufnahme fingen wir an: keine Zeit zum Kochen und vernünftig essen, nur noch die ewigen Lehrerzimmer-Kekse und Fast-Food der schlimmsten Art. „Es geht nicht anders…“ – Das ist immer ein guter Anzeiger dafür, dass etwas nicht im Fluss ist: ein unguter Zustand wird zwar erkannt, kann aber absolut nicht verändert werden, da geht gar nix. No way. Unmöglich.
Wir haben dann den typischen Tagesablauf angeschaut, in dem so gar nichts geht, weil absolut keine Zeit ist, und irgendwann kam die Kollegin drauf: „Ich bin ja die Plastikbeauftragte unserer Schule, ich fahre fast jeden Tag zum Plastikcontainer…“ und jetzt kommt’s: „… beim Einkaufszentrum!“ Einkaufszentrum.
Das ist da, wo frau Obst und Gemüse kaufen kann. Und Salat. Etwas Käse vielleicht. Und Kichererbsen, Gerstengrütze, Haferflocken, Risotto-Reis, Mais, Linsen, Dinkelnudeln, Bulgur.
Die Schule hat eine Schulküche. Aha.

1.Drittel: Essen
2.Drittel: Ruhen
3.Drittel: Bewegen
Als wir so weit waren, war es einfach: wir bauten in die Mitte ihres Tages, den sie fast vollständig an der Schule verbringt, weil sie dort auch ihre Vorbereitung macht, ein Kraftrad ein.
„Also ein Tortendiagramm?“, fragte die fortgebildete Kollegin. Na klar, so kann sie es auch nennen!
Das Mittags-Kraftrad.
Eine Stunde am Mittag, drei Teile:
Essen wird sie fortan weniger Zucker und Weißmehl. Statt Keksen gibt’s in Zukunft im Lehrerzimmer alles, was saubere Hände hinterlässt: kleine Tomätchen, Weintrauben, Erdbeeren, Bananen, Möhren, Rosinen, Nüsse. So kommt sie schon mal fitter durch den Vormittag. In der Mittagspause kocht sie sich was aus Gemüse mit Reis oder Polenta oder Buchweizengrütze oder Kichererbsen oder Linsen oder Bulgur oder Kartoffelbrei. In der Pfanne oder als Eintopf oder als Suppe oder als Gemüse mit Beilage. Zwischendrin gibt’s auch mal Salat oder Nudeln mit Soße. Das geht schnell und schmeckt und ist sehr variabel, kann auch am Abend zu Hause vorgekocht und mitgebracht werden. Dann wird gegessen.
In der Abteilung Kreative Ressourcen entdeckten wir, dass sie sehr gern Ruhe hat, dass sie mehr von innen nach außen arbeiten möchte, und sich weniger mit Fernsehmüll zuschütten möchte. Aber so ganz allein will sie auch nicht sein. Also hörten wir die CD: Die heilende Kraft der Achtsamkeit, von Jon Kabat-Zinn und Ulrike Kesper-Grossmann. Da gibt’s es eine angeleitete Berg-Meditation, die ihr sehr sympathisch ist. Das Bild des unerschütterlichen Berges will sie gerne für sich annehmen, da sieht sie sehr deutlich, wie ihr das im Schul- und Qualifizierungsalltag helfen kann. Das war das zweite Drittel ihres mittäglichen Kraftrads: die Ruhe. Gerne mit hochgelegten Beinen, damit auch der Körper was davon hat und runterschalten kann.
Gelaufen ist sie immer schon gern, das hat sie, wie vieles andere, in letzter Zeit aufgegeben. Aber ein paar Runden ums Schulgebäude sind drin. Die letzten 20 Minuten des Kraftrads: Bewegung.
Dann startet sie in ihren Nachmittag, der kürzer sein wird als vorher. Weil sie mehr Kraft hat und nicht gegen die Erschöpfung an-arbeiten muss, wird sie eine Stunde weniger Zeit brauchen, um ihr Pensum zu erfüllen.
Erstes Paradox des Zeitmanagements: wenn du viel zu tun hast, nimm dir wenig Zeit dafür.
Weil sie jetzt eine Stunde früher zu Hause ist, kann sie am Abend in Ruhe die Tasche für den nächsten Tag packen und die Kleider rauslegen. Dann ist ihr Arbeitstag wirklich zu Ende, und sie hat frei.
Am Morgen wird sie in Zukunft Morgenseiten schreiben, das kennt sie aus einem Kurs über kreatives Schreiben, den sie mal gemacht hat. Als wir es eben ausprobierten, fünf Minuten lang, alles, was in den Kopf kommt, merkte sie schon, wie sie das beruhigt: „Das entspannt mich jetzt schon!“ Sie wird später aufstehen, weil sie die Sachen schon am Abend rausgelegt hat. Also hat sie morgens ein Viertelstündchen, um zu schreiben.
Außerdem haben wir besprochen, dass sie nicht perfekt sein muss bei der Umsetzung des Neuen: 80 Prozent reicht. Und das schafft sie, so schätzt sie das ein.
Sie nimmt Hausaufgaben mit:
♥ Die Kolleginnen über ihr neues Ressourcenmanagement informieren.
♥ CD: Die heilende Kraft der Achtsamkeit, von Jon Kabat-Zinn und Ulrike Kesper-Grossmann und Buch: Was tun, wenn es brennt? Neue Strategien gegen Burnout. Ursula Wawrzinek, Anette Schauer. Klett-Cotta Fachratgeber, Stuttgart 2013 kaufen und nutzen.
♥ In 17 Tagen an mich eine Mail schreiben und mich über ihre neue Praxis informieren.
Vieles wusste und konnte sie schon, sie durfte es aktualisieren; an manchen Stellen hatte sie für sich neue Erkenntnisse, die sie erfreuten. Sie hat sich, kulinarisch unterstützt, mit mir alles nochmal genau angeschaut und für sich Zwischenräume, Kapazitäten, Kraftquellen, Ressourcen eben, entdeckt, die sie nicht (mehr) nutzte und von denen sie sah, wie sie sie jetzt konkret nutzen konnte.
Wir haben angeschaut: Tagesplan, Bedürfnisse, Neigungen, Vor-Erfahrungen, haben aktuelle gute Erfahrungen (mit dem Erdbeerquark, dem fließenden Schreiben für die Morgenseiten, dem Beine-Hochlegen, der angeleiteten Meditation) gemacht und neue Verknüpfungen hergestellt.
Auch ihre Vorbilder haben wir angeschaut, das, was sie wirklich bewegt, ihre Arbeit zu machen, das, was für sie den Sinn macht.
Auf der Rückfahrt zum Hafen kam es dann:
„Wissen Sie, ich bin so gerne Lehrerin, ich hab so große Lust darauf, den Kindern zu dienen und sie zu begleiten!“
Dienen?
– Wer leitet, dient. Das hatten wir nebenbei rausgefunden, und so kann sie sich auch gut damit anfreunden, ihren Thron zu besteigen. Sie wird dem Wohl der Kinder dienen, so sieht sie das.
Mit Freude.
(Dank an Susanne Fuchs für das Blumenbild, das ich zum Tortendiagramm zweckentfremdet habe. Das Bild ziert eines ihrer zauberhaften T-Shirts: www.trickyFox.de )