Das große Buch, in das wir die Morgenseiten schreiben, lässt sich umdrehen und wieder aufklappen, dann ist es das Buch für die abendlichen Glücksmomente. Das Rezept ist einfach: Jeden Abend vor dem Schlafengehen den Glücksmoment des Tages aufschreiben, mit ein bisschen Butter bei die Fische, so dass auch nach einem Jahr beim Wiederlesen der Moment noch erinnerbar wäre. Ohne Glücksmoment kein Schlafengehen.
Dann kommen die Nachfragen: was, wenn der Tag keinen Glücksmoment bot, sondern nur eine kleine Freude? – Dann die kleine Freude.
Wieso man denn voraussetzen könnte, dass es Glücksmomente gäbe und geben müsste? – Kann man gar nicht, und: unser Hirn ist plastisch, wenn wir es nach Glücksmomenten in der Erinnerung absuchen, merkt es sich den Vorgang und legt provisorisch eine Schneise durch den Regenwald der Synapsen. Wenn diese Schneise dann wieder und wieder angefordert wird, dann schnapsen die Synapsen wieder und wieder, die Schneise wird breiter, die Synapsen, die angefordert wurden, vernetzen sich, und bald ist da, wo vorher ein kleiner Pfad war, eine Landstraße. Die Synapsen-Landstraße der Glücksmomente. (Im Regenwald, wo die Metaphern reiten…)
Wir fangen an, im Tag die Glücksmomente zu erkennen, und abends schreiben wir sie ins Buch. Wir werden vorausschauend: falls kein Glücksmoment im Tag war, dann: die kleine Schokolade essen, den Liebesbrief wiederlesen, den Rosenduft riechen, sich am gesammelten Strandgut freuen.
Beim Reden über unseren heutigen Glücksmoment wird schnell klar: die Glücksmomente sind manchmal von kleinen Freuden kaum zu unterscheiden. Die kleine Freundlichkeit, der stille Moment der Verbundenheit in der Natur, das körperliche Wohlbehagen, das Glück des Findens, das Aufblitzen der Erinnerung, der herzförmige Stein am Strand, der Brief der Liebsten, die unerwartete Begegnung mit einem Tier, das Innehalten im Mondlicht, das Geschenk einer Berührung, der Anblick der aufgehenden Sonne am Meer.
Und dann kommt eine Nacht, in der es sehr dunkel ist und wir aufwachen, nachts um drei, wie Snoopy auf seinem Hundehäuschen-Dach, und uns fragen, was der Sinn des Lebens ist. Snoopy geht dann zu Charlie Browns Tür, donnert mit der Hinterpfote dran und lässt sich von einem verschlafenen Charlie Brown sagen: „Der Sinn des Lebens ist, schlafen zu gehen und zu hoffen, dass morgen ein besserer Tag ist.“
Manchmal reicht das.
Manchmal auch nicht.
Dann schauen wir ins Glücksmomente-Buch und lesen, dass wir mal glücklicher waren als eben jetzt. Das können wir uns glauben, wir haben es selbst geschrieben, und dann können wir messerscharf schließen: Ich war mal glücklich. Ich kann es wieder sein.
Glücklich, unglücklich.
Ich kann mich der Zen-Weisheit annähern, die sagt:
Nicht immer so.
Mascha Kaleko sagt es in ihrem Gedicht „Rezept“ so:
„Es ist wahr, was sie sagen:
Was kommen muss, kommt.
Geh dem Leid nicht entgegen.
Und ist es da,
sieh ihm still ins Gesicht.
Es ist vergänglich wie Glück.“
zerreiß deine pläne
und halte dich an wunder
sie sind längs verzeichnet
im großen plan
jage die ängste fort und die angst vor den ängsten
mascha kaleko
nicht zu trennen
lieben gruß