Schreibend die Dämonen zum Tee einladen

Dies ist ein längerer Artikel zu einer Methode des Heilsamen Schreibens, die ich entwickelt habe und mit Schreibwerkstatt-TeilnehmerInnen und anderen Menschen ausprobiert und diskutiert habe. Ich danke der ungenannten Teilnehmerin, die mir ihren Text zur Verfügung stellte, so dass ich die Methode an diesem Beispiel darstellen kann, und allen, die daran mit mir diskutiert haben!
Die Methode Schreibend die Dämonen zum Tee einladen bezieht sich auf Grundlagen des Buddhismus, der Psychologie und der Theorie des Schreibens, die ich hier zusammenbringe und wirken lasse.
Schreibend die Dämonen zum Tee einladen dient der Stabilisierung und der Stärkung durch Integration von als schwierig empfundenen Anteilen.

Heilsames Schreiben: Die Dämonen zum Tee einladen

„Achtsamkeit erhellt und verwandelt.“ – Thich Nhat Hanh

„Lad doch Deine Dämonen zum Tee ein!“  – Genau. Aber wie geht das?

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Die Dämonen füttern

Tsultrim Allione hat in ihrem Buch: „Feeding your Demons. Ancient Wisdom for Resolving Inner Conflict“ eine Methode beschrieben, die aus dem alten Chöd-Glauben Tibets kommt und von der buddhistischen Nonne Machig Labdrön von etwa tausend Jahren aufgeschrieben wurde.

Im Kern ist die Methode sehr einfach und  wird von heutigen PsychologInnen positiv  gewürdigt, weil sie den seelischen Gegebenheiten aus heutiger, westlicher Sicht entspricht: es geht um Integration des Gefürchteten, des Schattens, dessen, was Angst macht und beeinträchtigt.

Jack Kornfield, Buddhist und Psychologe, beschreibt in seinem Vorwort zu Alliones Buch, wie vor allen buddhistischen Tempeln Statuen von wüsten Dämonen stehen, furchterregende Figuren, zwischen denen man hindurchgehen muss, um in den heiligen Bezirk des Tempels einzutreten.

„Das liegt daran, dass alle Menschen, jeder von uns, sich mit den Dämonen der Angst, der Aggression, der Verführung, der Ignoranz und ihren Konsorten auseinandersetzen muss, wenn wir ein freies und heiliges Leben leben wollen.  (…) (Es geht darum) die Energie von Sucht, Scham, Krankheit, Angst und Ärger  zu transformieren in eine befreiende Energie.“ (Kornfield, loc.cit., übersetzt von mir)

Ich habe aus der Methode von Tsultrim Allione, die Dämonen zu füttern, um innere Konflikte aufzulösen, eine Möglichkeit des heilsamen Schreibens entwickelt,  indem ich sie entsprechend abgewandelt habe.   

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Heilsames Schreiben

James W. Pennebaker, Pionier des Heilsamen Schreibens, hat die Effekte des Schreibens zur Verarbeitung von Traumata und belastenden Ereignissen detailliert, empirisch gestützt und mit beträchtlichem Humor praxisnah beschrieben. Er hat untersucht und an Beispielen gezeigt, wie nachweislich wirkmächtig das Schreiben sein kann, um in Heilungsprozesse einzutreten. Er empfiehlt das tägliche expressive Schreiben und hält es mit Sokrates: The unexamined life is not worth living. 

Es geht ums zur-Sprache-bringen von schwierigen Inhalten. Durch die Schrift können wir in ein dialogisches Verhältnis  eintreten, einfach weil das Geschriebene in der Welt ist, und deswegen betrachtet, revidiert, editiert, verändert werden kann. Und damit auch uns verändern kann.

 „Das Selbst verdoppelt sich in der Geste der Schrift“, sagt Villem Flusser.

Im Schreiben haben wir die ZuhörerIn, die AdressatIn, die BegleiterIn schon dabei, wir sind adressiert. Das funktioniert, auch wenn die Texte, Briefe oder Tagebucheinträge nie gelesen werden und nie beantwortet werden, oder wenn die putative Masse der Lesenden, Rezipierenden vollkommen virtuell ist, wie beim bloggen, facebooken oder twittern.  

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Schreibend die Dämonen zum Tee einladen

Ich erkläre meine Methode an einem Text-Beispiel einer Klientin, die sie anwendete und mir ihren handschriftlichen Text zur Verfügung stellte, und unterbreche diesen Beispieltext immer wieder durch kursive methodische  Erläuterungen.

Es geht los:

Schreibend die Dämonen zum Tee einladen.

1.    Wie heißt der Dämon, den du einladen willst? Wie ist die spezielle Situation, genau diesen Dämon zum Tee einzuladen?

„Der Dämon, der gnadenlos im Stich lässt – wie lädt man den zum Tee ein? So flüchtig, so zart-neblig, die Qualität meiner Mutter und Großmutter? Will nicht, kann nicht, ist nicht da? Wie lädt man so einen zum Tee ein?“

2. Beschreibe deinen Dämon!

„Der Dämon ist:

  • Zart neblig
  • Ungefähr
  • Mit fliehenden Augen
  • Die niemanden ansehen, die nichts fassen können
  • Schaut hinter sich zurück
  • Zieht sich in sich zurück, unsichtbar
  • Opak
  • Völlig unzugänglich
  • Kontaktabweisende Oberfläche
  • Alles perlt ab
  • Zeigt keine Begeisterung, Freude, Zugewandtheit
  • Gefühlsneutral, eher kalt
  • Hat keinen Kontakt zur Umwelt, steht da wie angepflockt
  • Wirkt verloren
  • Fremd
  • Starr, kühl
  • Das wichtigste ist: kein Kontakt“

Die Beschreibung ist ausführlich, und beim Schreiben entwickelt sich die Vorstellung und die Phantasie weiter, bis sie zum Kern kommt: kein Kontakt.

3.  Beschreibe den Dämon von innen!

„Dämon, innen: Nichts fühlen, nichts merken, kein Kontakt, nichts reinlassen, alles, was kommt, kann wehtun, und ich habe nichts entgegenzusetzen. Alles kann mich umbringen, nichts darf mich berühren. Ich habe nichts, bin nichts, kann nichts, ich bestehe nur aus feinster, durchsichtigster, flüchtigster Substanz. Da ist nichts. Alles was ich will, ist, das Leben mit so wenig Energie wie möglich durchzuhalten, indem ich mich unsichtbar mache.“

„Ich bin nicht du!“

Hier beginnt etwas Neues: ein spontaner Dialog der Schreiberin mit dem von innen beschriebenen Dämon, den sie hat mit seiner eigenen Stimme von sich sprechen lassen.  Das war nicht die Schreib-Anweisung, scheint mir aber ein typisches Ereignis beim Schreiben  zu sein: wenn etwas erscheint und wir es sprechen lassen, dann kann es leicht passieren, dass wir mit dem, das sich da zeigt, in Dialog gehen. 

„Das ist meine ganze Botschaft, mein ganzes Sein.“ „Das da draußen, das mir nahe kommt und etwas von mir will, das macht mir nur Angst, da will ich nur weg“  „Unsichtbar! Unsichtbar!“ „Eine neue Facette ist, alles irrelevant zu machen, keine Bedeutung zuzulassen, keine gedanklichen Operationen anzuerkennen. Es gibt Nichts, und das kann auch nicht analysiert werden, es gibt keine Unterscheidungen, nur Nebel“ „Und gelegentlich eine Aufgeregtheit, ein Erzittern, ein Grummeln, eine flache Welle, die durch mich hindurchgeht, immer kurz vor dem Zusammenbruch.“

Auch hier wieder: es geht beim heilsamen Schreiben nicht darum, einen  lesbaren, rezipierbaren Text zu schreiben, sondern darum, einen authentischen, von innen geleiteten  Text herzustellen. Es kann daher zu Wiederholungen kommen, zu Umkreisungen, zu Idiosynkrasien, die beim Wiederlesen oder für andere schwer verständlich erscheinen. Wichtig ist einzig, dass die Schreiberin ihren Text als stimmig empfindet, während sie ihn  schreibt.

Nun folgen die Fragen, die Tsultrim Allione vorschlägt, die nun  Bestandteil eines Schreibdialogs werden können. Ich bezeichne alle meine Schreibanweisungen als Vorschläge an die Schreibenden und ermutige sie stets, skrupellos das zu schreiben, was sie schreiben wollen und meinen Anweisungen nicht zu folgen, wenn sich das nicht richtig  anfühlt. Wichtig ist einzig der als stimmig empfundene Schreibfluss, nicht das Befolgen von Anweisungen.

 

4. Frage Deinen Dämon:

  • Was willst du von mir?
  • Was brauchst du von mir?
  • Wie geht es Dir, wenn Du bekommst, was du brauchst?

„Ich merke grade, dass ich von viel Mitgefühl erfüllt werde. Einfach nur Mitgefühl. Nicht: wie schrecklich! Sondern: Ja! Einfach nur: Ja, so geht’s dir, so hast du gefühlt. Ja. Die Antwort ist einfach nur JA. Und das JA heißt: ich validiere ganz grundsätzlich den Modus Deiner Existenz. Ohne Wenn und Aber, ohne Wunsch, ohne Wille, dass du dich ändern musst, ohne dass du was tun musst, ganz ohne, ohne, sine ira et studio, einfach nur JA ganz ohne Agenda. JA. So bist du. Ich sehe dich und will dich nicht ändern, will dir nichts tun, respektiere dich vollständig, einfach nur JA so bist du, ich sehe dich auch mit den vielen Unsichtbarkeiten, auch mit der absolut überwältigenden Angst, dass es dich umbringen würde, etwas fühlen zu müssen. Du kannst nicht fühlen, indem du fast nicht lebst. Fast. Dein Leben besteht aus diesem fast. Fast nahezubeihnahe, fast garnicht, ein µ, ein müh.

Daher liebst du die Stille, die Starre, das Todesähnliche, das Ohn-Mächtige, das Nichts, alles was zart und durchsichtig ist,  blass, unscheinbar, kahl, kalt, ohne Energie, alles schlaffe, müde, lustlose, farblose, durchsichtige, pastellige, transparente, leise ruhige unaufgeregte flache, dünne neblige nicht-definierte, alles unbemerkte, unaufdringliche, einfarbige, in-den-Hintergrund-tretende, das nicht-mitarbeitende, das  nicht-in-Kontakt-tretende, ungeformte, flüchtige unbewegliche, sich-auflösende, hinschmelzende, keinen-Eindruck-hinterlassende, wegdriftende…“

Es wird deutlich, dass die Schreiberin in einen flow geraten ist: sie schreibt schnell, ohne abzusetzen, Zeichensetzung/Rechtschreibung  wird teilweise ignoriert, es entsteht ein  Schreibfluss, der nur seiner eigenen Logik folgt und dem automatischen Schreiben ähnlich zu sein scheint. Es ist nicht selten, dass solche Schreib-flow-Zustände Listen hervorbringen, als erste Möglichkeit, eine neu aufscheinende Welt zu ordnen und zu erfassen: mit dem Mittel der Aufzählung zunächst. Das ist die erste Ordnung, die hergestellt wird: keine hierarchisierende oder narrative, sondern nur eine aufzählende Ordnung. Erst einmal können die beschreibenden Worte erscheinen. Auch hier wieder mag der Text beim Lesen lang erscheinen, wiederholend, ungeordnet. Er gibt die Ordnung im Geist wieder, der im Schreibfluss ist.

„… und darin liegt ein gewisses, kleines Behagen, ein kleiner Triumph, eine kleine Freude: wieder nicht umgekommen, wieder entgangen, wieder aufgelöst, davongekommen. Jeder Kontakt macht Bedürfnisse sichtbar, jedes Bedürfnis ist gefährlich. Sich abschalten können ist die einzige Fähigkeit, die wirklich zählt. Richtig aus dem Kontakt gehen, für die Welt verloren sein. Und damit das wirklich geht, muss alle Kraft dafür aufgewendet werden, die Rahmenbedingungen stabil zu halten. Alles muss sicher sein.  Das sichere Wissen: ich bin dem nicht gewachsen, ich kann nichts aus mir selbst heraus herstellen, ich bin dazu völlig unfähig. Keine Spannung darf da sein, kein Druck, keine Zumutung, nichts.“

Hier scheint wieder der Dämon zu sprechen, der die Rede der Schreiberin fortführt. Damit scheint ein Dialog hergestellt.  Es scheint, durch die Akzeptanz der Schreiberin, die sie in der Rede an den Dämon ausdrückte, konnte dieser sich noch weiter zu sich selbst äußern und weitere Aspekte einführen.  Schreiben kann wissenserzeugend sein, epistemisch. Das scheint mir hier geschehen zu sein, der Schreibfluss bringt neue, möglicherweise vorher nichtgewußte, ungeplante Aspekte zum Ausdruck, buchstäblich zur Sprache.  Die Fragen sind von der Schreiberin zunächst ignoriert worden, so scheint es, und doch sind sie vielleicht wichtig gewesen, um den Textfluss und die sich anbahnende Dialogizität  bis hierher zu ermöglichen.

„Was willst du?“

„Nichts“

„Was brauchst du?“

„Nichts“

„Wie geht’s dir, wenn du das bekommst, was du brauchst?“

„Dann kann ich in meinem ‚Fast-Modus‘ existieren.

„Das ist alles?“

„Ja, nichts ist alles.“

„Sag mal, manchmal bin ich müde von alldem“

„Ja, das merke ich.“

„Könnt ich mich manchmal unentdeckt neben dich setzen, ohne Kontakt natürlich, und ohne was von dir zu wollen, einfach in dieser Nicht-Energie sitzen…“

„Ja klar, das betrifft mich ja nicht.“

„Genau das wäre es, ein Urlaub vom Kontakt, ich glaube, da könnte ich mich vielleicht ausruhen“

„Hm. Ausruhen wär mir schon zu viel.“

„Na gut, dann  fühle ich mal neben dir „

„Fade away, lös mich auf, geh unter, wie nachts…“

„Nur atmen, sitzen, nichts spüren, innerlich sein.“

„ja das mache ich eher nicht, bei mir löst sich vieles nur auf…“

„Weiß ich, aber ich bin gern mal meditativ, das geht in deiner Umgebung gut…“

„oh“

„Also achtsam, ja?“

„Achtsam, konzentriert, aber nicht zu sehr, einfach sitzen, achtsam, ausatmen.“

„ach, und beim Einatmen?“

„da ist Pause, keine Betonung, das ist der Zwischenraum.“

„ach“

„mhm“

„und wär da mein Platz“

„kann sein…“

„ach. Und dann die Betonung auf dem ausatmen. Wo alles weggeht, sich in den Raum hinein auflöst, sich entspannt nach außen, ja?“

„Ja.“

… und SO lädt man den Dämon, der gnadenlos im Stich läßt, zum MEDI-TEE ein.“

Hier endet der Text der Schreiberin, die noch mündlich berichtete, dass der Ausdruck „zum Medi-Tee einladen“ ihr sehr gegenwärtig geblieben sei und sie immer noch sehr amüsiere.

Insgesamt war sie mit ihrer Schreiberfahrung sehr zufrieden und bemerkte, dass vor allem gegen Ende es ein sehr schneller und intuitiver Scheib-Fluss gewesen sei. Das zeigt sich auch daran, dass der handschriftliche Text immer undeutlicher lesbar wird, einige Worte waren  nicht mehr entzifferbar und die Schreiberin konnte sie auch nicht rekonstruieren.

Als ich im Prozess war, diese Methode des Heilsamen Schreibens aufzuschreiben und sie am Beispiel des KlientInnentexts zu illustrieren, kam das Buch von Sabine Bode: Kriegsenkel meines Weges. Die Beschreibungen der gefühlsarmen, abwesenden Mütter, die Kriegskinder waren und mit ihren Traumata nirgends ankommen konnten und keine Heilung erfahren konnten, erinnern mich an die Beschreibung des Dämons, der gnadenlos im Stich lässt und der im Text zum Medi-Tee eingeladen worden war. 

Literatur

Allione, Tsultrim: Feeding Your Demons. Ancient Wisdom for Resolving Inner Conflict. Foreword by Jack Kornfield. Hay House, London 2008

Bode, Sabine: Kriegsenkel. Die Erben der vergessenen Generation. Klett Cotta, Stuttgart 2009  Ich danke meiner Schwester Ulrike Fuchs, die mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht hat.

Pennebaker, James W. / Evans, John F.: Expressive Writing. Words that Heal. Idyll Arbor, Inc., Enumclaw 2014 Es handelt sich um die deutlich erweiterte und ergänzte Wiederauflage eines Klassikers des heilsamen Schreibens. Ich danke meiner Schwägerin Bettina von Minnigerode, die mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht hat. 

2 Gedanken zu „Schreibend die Dämonen zum Tee einladen

  1. Liebe Claudia,

    eine berührende Schreibübung !
    Ünd danke für den Hinweis auf Sabine Bodes Buch, das ich auch noch lesen wollte!
    Liebe Grüße
    Hella Barbara

  2. Liebe Frau Fuchs,
    gerade lief mir tatsächlich ein Schauer über den Rücken:
    Ich habe in meinem smartphone als Favorit gespeichert:
    Sabine Bode, Die vergessene Generation
    Die Kriegskinder brechen ihr Schweigen.
    Sozusagen das Vorgängerwerk.
    Aber besser ist vielleicht, mir erst die „Kriegsenkel“ vorzunehmen. Und dann später zum Klarer-sehen und besseren Verstehen „Die vergessene Generation“ …
    Jedenfalls, DANKE Ihnen mal wieder für’s Inspirieren und Anstoßen! Das Arbeiten am Inneren nimmt doch kein Ende, wenn man erst mal damit angefangen hat … Aber das verstehe ich auch als das „Geschenk“ (Schlingensief, vor einigen Tagen hier auf dieser Seite), diese seine Aussage ist mir irgendwann auch mal über den Weg gelaufen.
    Ganz herzlich Marion Voigt

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